To’okena Tag 9

Unser letzter Tag in To’okena brach an. Dieses Mal besuchten wir wirklich den Grade 8 Kos. Er fand im Haus Lotu statt. Als wir eintraten bemerkten wir die verstohlenen Blicke sehr wohl, welche die jungen Leute uns zuwarfen. Wir taten jedoch nichts dergleichen und setzten uns hinter der Gruppe auf einen Bank. Die Jungen und Mädchen sassen schön separiert, links die Jungs, rechts die Mädels. Die Anzahl der Teilnehmenden belief sich auf etwa 30. Sie waren alle etwa im gleichen Alter, es gab jedoch ein bis zwei Personen, die auf alle Fälle schon älter als 16 waren.

Beim Mittagessen setzte ich mich neben eine der älteren Teilnehmerinnen. Sie ist mir aufgefallen, weil neben ihr, je auf einer Seite, ein Kind sass. Einer der beiden Knaben war eine Art Albino (Das ist nicht abschätzig gemeint. Ich denke, das trifft es einfach am besten). Dies zeigte sich an seiner hellen Haut und an den fast blonden Haaren. Ich hatte hier in PNG zuvor schon Menschen mit dieser Veranlagung gesehen, doch hier im Lamari waren es irgendwie ganz viele auf einem Haufen. Als ich mit der Frau ins Gespräch kam, erzählte sie mir, dass es sich beim einen Kind um ihren leiblichen Sohn handle und der andere mit den blonden Haaren ein sogenanntes „lukautim pikinini“ (auf das Kind aufpassen) ist. Das heisst, sie ist sozusagen die Adoptivmutter, einfach ohne es wirklich zu adoptieren (jedenfalls rechtlich). Hier in PNG gibt es oft Ehepaare, die entweder zusätzlich oder aufgrund ungewollter Kinderlosigkeit  „lukautim pikinini“ bei sich aufnehmen. Teilweise werden diese Kinder gut behandelt, grösstenteils aber gar nicht. Sie sind in ihren Augen viel weniger wert, als die eigenen Kinder. Die aufgenommenen Kinder, welche meistens aus der Verwandtschaft stammen, werden oftmals wie Sklaven einfach zum Arbeiten eingesetzt. Die Cinderella-Story kommt hier also ziemlich häufig vor, sowohl für männliche als auch weibliche Kinder. Dass es jedoch jeweils ein Happy End gibt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Wenn das Kind dann auch noch einen Gendefekt oder sowas hat, wird es meistens von den anderen Kindern ausgelacht, gehänselt und gemobbt. Sie haben so kein einfaches Leben. Die gläubigen Ehepaare werden immer wieder ermutigt, aus dieser kulturellen Handlungsweise auszubrechen und sich an die Erziehung nach biblischen Grundsätzen zu halten.

Bei dieser Frau sah ich eine Liebe und Fürsorge zu diesem Kind, was mich sehr berührte. Ich versuchte mit dem blondhaarigen Geschöpf zu reden, doch er senkte meist den Kopf noch weiter der mit Reis gefüllten Schüssel entgegen. Er tat mir irgendwie leid, da er sich von allen anderen abhob. So wie wir Weissen mitten unter den Einheimischen. Ich wollte ihn aufmuntern und sagte zu ihm, wir hätten fast die gleiche Hautfarbe und streckte meinen Arm aus, so dass er parallel zu seiner Linken in der Luft schwebte. Kaum hatte ich dies ausgesprochen, dachte ich: Oh nein, das darf man hier vielleicht gar nicht sagen. Seine Adoptivmutter schmunzelte. Ich atmete auf. Kurz darauf erzählte sie mir, dass sie und ihre Kinder uns schon vor dem heutigen Tage gesehen haben. Wahrscheinlich als wir auf Ahea gingen oder To’okena 2 besichtigten. Als der Kleine mich dort stehen sah, sagte er zu seiner Adoptivmutter, das müsse wohl seine richtige Mami sein, die ihn abholen komme. Das war irgendwie süss, aber auf die andere Seite liess er durch seine Aussage sowohl seine Hoffnung, dass seine  richtige Mami ihn wieder zurückholen würde, als auch seine Sehnsucht, am richtigen Platz zu sein und dazuzugehören, spüren. Und vielen anderen Kindern geht es genau gleich, sowohl hier in PNG als auch in anderen Ländern. Nicht nur Albinos, manchmal sind sie ganz unscheinbar. Nehmt ihr sie wahr? Geht ihr auf sie zu oder macht ihr’s wie die anderen und ignoriert sie einfach? Genau DU könntest der/die erhoffte Freund/In, das sehnsüchtig erwartete Licht in der Dunkelheit sein.

Ich wusste schon von vornherein, dass ich die mit Reis gehäufte Schüssel nicht ausessen mochte. Jetzt sowieso nicht mehr. Ich bot es kurzerhand der Frau und ihren Kindern an. Der blondhaarige nickte und nahm gerne noch mehr. Es sah aus, als wäre es seit langem wieder etwas zu essen. Oder hatte er vielleicht einfach Angst, jemand könnte es ihm wegnehmen? Die Frau schöpfte ihm noch etwas Reis in den Teller und ermutigte ihn, trotzdem ein wenig schneller zu essen, da die Mittagspause bald vorbei sei. Wenn der Kurs am Nachmittag wieder startet, warten die Kinder einfach auf der Wiese in der Nähe der Kirche, erklärte sie mir. Wir redeten noch ein wenig weiter, bis der Kurs dann weiterging. Auf dem Weg zur Kirche sagte ich ihr, dass ich es super finde, dass sie ihre schulische Ausbildung trotz allem weitergemacht hat. Viele Frauen können nicht lesen und schreiben, weil sie nicht in die Schule geschickt werden. Wahrscheinlich ist es heute ein wenig anders, da die Schule für alle offen ist und die Kosten von der Regierung übernommen werden. Hoffen wir’s!

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