Neuguinesische Abdankung

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist das keine schöne Situation für die Hinterbliebenen. Man fühlt sich traurig, machtlos, manchmal sogar im Stich gelassen.

Hier in Neuguinea ist das nicht anders. Vor allem wenn eine Leaderperson stirbt, kommen ganz viele Leute zusammen und weinen um ihn. Letzten Freitag und Samstag durften, sollten, mussten wir bei einer solchen Abdankung dabei sein. Ein Mann, der sowohl als Lehrer als auch als Leiter in den umliegenden Dörfern tätig war, ist von uns gegangen.

Als wir davon erfuhren (das war dann doch etwa 2 Tage, nachdem er gestorben war, da wohl alle dachten, wir wissen schon davon), gingen wir zuerst zu seiner Frau und seinen Kindern und bekundeten unser Beileid. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits einige Freunde und Verwandte, um die Trauerfamilie geschart und mit ihnen geweint. Als wir kamen, weinten sie gerade nicht mehr, aber an ihren geröteten Augen konnten wir sehen, dass sie lange zusammen geweint hatten. Dass wir kamen, ist für sie sowohl das Bekunden von Mitleid und des Mittragens, als auch eine gewisse Ehrerbietung. Nach ein paar tröstenden Worten, einen Couvert mit ein wenig Geld und dem Mut machen, dass er nun bei Gott am schönsten Ort ist, gingen wir wieder nach Hause. Leider mussten wir danach vernehmen, dass einige Leute den starken Verdacht aussprachen, dass der Mann vergiftet wurde und deshalb so plötzlich von ihnen gehen musste. Schliesslich war er doch gesund und hatte erst gerade noch mit vielen von ihnen gesprochen. Durch Nachfragen bei Krankenschwestern aus unserem Spital erfuhren wir jedoch, dass der Verstorbene sowohl Diabetes als auch zu hoher Blutdruck hatte. Er gehörte auch eher zu den übergewichtigen Personen. Auf den Beschrieb hin, wie der Mann kurz vor seinem Tod agierte, vermuteten wir, dass es sich eher um einen Herzinfarkt gehandelt haben musste. Trotzdem blieben viele bei ihrem Verdacht, dass der Mann vergiftet worden war. Solche Aussagen kommen leider immer häufiger auf, aber vor allem bei wichtigen Männern, die sozusagen vom einen auf den anderen Tag verstarben. Da ihr euch denken könnt, dass dieser Verdacht nur ein böses Gerücht ist, was denkt ihr, wer ihn dann vergiftet hat? Wie genau diese Person dann herausgefunden wird, ist mir noch immer unklar. Doch wenn ein Mann / eine Frau von vielen (v.a. leitenden Personen) der Tat beschuldigt wird, hat er / sie fast keine Chance mehr. Kriegen die Leute den Übeltäter zu fassen, wir er / sie gnadenlos zusammen geschlagen und ev. sogar ermordet. Deshalb beten wir fest dafür, dass die entsprechenden Personen von diesem grausigen Hintergedanken ablassen. Denn zwischen den Dörfern ist je nach „schuldiger“ Person ein Krieg nicht undenkbar.

Es dauerte rund 1 Woche bis sie den Leichnam in einem Sarg zurückholen konnten. Am Freitag, um vier Uhr morgens läutete jemand die Schulglocke. Chregu und ich schreckten auf und fragten uns, ob wohl etwas passiert sei. Als wir aber keine daher hastenden Leute oder anderes Geschrei hörten, kamen wir zum Schluss, dass es uns wahrscheinlich nichts anginge. Später erfuhren wir, dass die, die den Leichnam holen wollten, um diese Zeit alle sammelten und mit dem Auto nach Goroka abfuhren.

Schon längst erwarteten wir die Delegation zurück. Gegen 18 Uhr war es dann soweit. Eine Ambulanz gefolgt von drei, vier 15-Sitzer-Bussen fuhr die Hauptstrasse entlang. Wir mussten uns geradewegs beeilen, damit wir noch rechtzeitig für das Spalierstehen und dem „Willkommen heissen „ des Verstorbenen bei der Schule standen. Natürlich fing es kurz vorher noch an zu regnen, so dass wir mit Schirm, Flip-Flops und mit Dreck verspritzen Hosen und Jupe nach der Ambulanz ankamen. Viele standen schon am Wegrand, doch von weitem konnte man die weinenden und heulenden Menschen hören, die noch zur Besammlung unterwegs waren. Bei den meisten Leuten, die wir daher kommen sahen, konnten wir keine Tränen auf ihrem Gesicht erkennen. Es war nur vor Trauer verzerrt, doch eine Art Geschrei gab jeder von sich. Es war eine beklemmende Situation. Uns kam es vor als würden ein paar die Trauer einfach spielen. Man musste schliesslich dabei sein, wenn ein wichtiger Mann beerdigt wird. Wahrscheinlich gerät man sonst in Ungnade beim Stamm, Clan oder im Dorf.

Bei der Ambulanz machten alle halt und heulten und schrien noch lauter, die Hände und das Gesicht ans Auto gedrückt.

Nach einer gewissen Zeit fuhr die Ambulanz im Rückwärtsgang einen Hügel hinauf, der zum Sportplatz führte. Dort wartete bereits ein grosses Zelt mit einigen Bänken und einem langen Tisch. Unter einer Blache, damit der Sarg nicht nass wurde, und von einigen starken Männer getragen, wurde der schwarze Sarg ins Zelt getragen. Vorbei an vielen aufgereihten Menschen, die ihr wehklagen herausschrien. Das Zelt füllte sich schlagartig. Da es schon ziemlich spät war, wurde die Abdankung auf den nächsten Morgen verschoben. Nur widerwillig verzogen sich die Leute in ihr Dorf zurück. Denn nur die Stationsbewohner durften sich am Abend noch auf der Station aufhalten. So kann eine gewisse Ruhe und Sicherheit gewährleistet werden.

Am nächsten Tag wurde schon um 8 und dann um 9 Uhr geläutet. So bekommen alle in der Region mit, dass es bald losgehen wird. Wir wussten schon, dass wir uns in PNG befinden und Verzögerungen schon fast eingeplant werden müssen. Doch weil mit dem Geläut so gut eingespurt wurde, dachten wir, die Abdankung würde dann pünktlich um 10 Uhr beginnen (und wäre dann auch mal wieder fertig). Wie ihr herauslesen könnt, waren wir zwar nicht die ersten aber bei weitem nicht die letzten. Chregu und ich sicherten uns einen Platz auf einer Bank mit Lehne. Nach ca. 1 Stunde beschlossen die leitenden Personen, dass wir nun anfangen können. Die Abdankung war ähnlich wie wir es aus der Schweiz kennen. Nur der Abschluss unterschied sich. Der Lehrer wurde nämlich von seinen Berufskollegen in einer Zeremonie an die Dorfleiter übergeben. Ihr müsst wissen, die Lehrer wohnen nur des Jobs wegen hier. Ihr Dorf und ihre Familie müssen nicht zwingend aus der Region sein. In diesem Falle hier kam der Verstorbene aus dem Nachbardorf.

Bevor die Dorfleiter den Sarg auf die Autobridge luden, mussten alle aufgerufenen Personen vor dem Sarg vorbei und sich vom Verstorbenen verabschieden. Hierzu wurde das am Kopfende eingebaute Fenster freigemacht (eine Flagge lag auf dem Sarg ausgebreitet) und jeder durfte noch hineinsehen. Natürlich wurden die Missionare auch zum letzten Gruss aufgefordert. Sowas machen Chregu und ich gar nicht gerne, deshalb taten wir beim Vorbeilaufen dann einfach so, als würden wir hineinschauen. Das war gar nicht so leicht, denn wir gehören sowieso zu den grösseren Leuten, so dass wir unseren Blick auch nicht zu sehr senken konnten, um den Blick auf den Toten zu vermeiden.

Nun wurde endlich der Tote übergeben und die Leute verzogen sich nach und nach in ihre Häuser oder in ihr Dorf zurück. Auch wir machten uns auf den Weg nach Hause und fragten uns, was wir mit dem angebrochenen Nachmittag noch anfangen sollten. Es war eine spezielle Erfahrung und doch hoffen wir, dass wir es nicht allzu bald wieder miterleben müssen. Wir sind aber froh um eure Gebete, dass von der Sache mit  dem Vergiften abgelassen wird und der Friede in unseren Nachbardörfern bestehen bleiben darf.

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